Von Rostock nach Jerusalem
Bibelwissenschaftler der Theologischen Fakultät unterrichtet auf dem Zionsberg
Prof. H. Michael Niemann kann in seiner Vorlesung den Studierenden aus dem Fenster mit dem Finger unmittelbar andeuten: "Feinde bedrohten und eroberten Jerusalem in allen Jahrhunderten aus strategisch-geographischen Gründen immer von dort drüben, etwa 1500 Meter weiter, aus nördlicher Richtung. Auch deshalb stilisiert der Prophet Jeremia dann Žden Feind aus dem NordenŽ". Das Verhältnis von realhistorischem Geschehen durch die Jahrhunderte auf biblischem Boden und dessen Spiegelung in der theologisch-literarischen Verarbeitung des Geschehens in der Bibel: Das ist der Gegenstand der 20stündigen Kompaktvorlesung des Rostocker Spezialisten für die Erforschung der Geschichte Palästina-Syriens in der Antike und für Biblische Archäologie.
Professor Niemann zeigt den Studierenden an konkreten Beispielen, dass theologische Verarbeitung von historischen Geschehnissen nicht selten in ihrer sorgfältig bearbeiteten erzählerischen Form in den biblischen Büchern weitaus stärkere historische Nach- und Fernwirkungen zeigte - und noch zeigt! - als historisch-reale Fakten. Das ist eine manche Hörer zunächst überraschende Einsicht gegenüber unserer üblichen Hochschätzung des Faktischen, in den Daten Nachprüfbaren gegenüber dem nur scheinbar unpräzisen Erzählten, Gedeuteten, religiös gesprochen:
dem tragenden Glauben in seiner mündlich erzählten und der literarisch geprägten und prägenden Form. Für die Gegenwart wichtig wird die Analyse biblischen Erzählens und historischen Geschehens in derem Hintergrund, weil Damaliges unsere heutige kulturelle Gegenwart nicht nur entscheidend geprägt hat, sondern auch damalige Entscheidungsmuster heute auf ihre Zukunftsrelevanz befragt werden können.
Der äußere Rahmen der Vorlesungen von Professor Niemann in diesen Februarwochen ist außergewöhnlich: Die prominente Theologische Fakultät San Anselmo in Rom unterhält im Gelände des Jerusalemer Benediktiner-Klosters "Hagia Maria Sion" eine Zweigstelle ohne fest angestellte Professoren. Dort unterrichten Lehrkräfte aus aller Welt in Vorlesungen und Seminaren völlig unentgeltlich, denen die Ehre der Einladung wichtiger ist. Besonders spannend für Studierende und Professoren ist die engagierte, konstruktive und tolerante Atmosphäre und die Zusammensetzung der Studierenden, die zur Hälfte katholisch bzw. evangelisch sind und überwiegend aus Deutschland, Österreich und der Schweiz stammen. Auf Anfrage der Studierenden und des Studiendekans hat der Rostocker Hochschullehrer zugesagt, auch in kommenden Studienjahren in Jerusalem zu unterrichten.
Dr. Klaus-Michael Bull
Theologische Fakultät, Univ. Rostock
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