Über den Thronwechsel als Krise und Entwicklungschance
Zu den zahlreichen Neuerscheinungen, die das Institut für Europäische Kulturgeschichte gegen Ende des Sommersemesters 2001 gesammelt vorgestellt hat, zählt u. a. der von Wolfgang E. J. Weber herausgegebene Sammelband "Der frühmoderne Staat in Ostzentraleuropa II". Thematisiert wird hier die Doppelgesichtigkeit personalisierter staatlich politischer Potenz, die auch in der gegenwart nicht ohne Belang ist.
Ohne sich inhaltlich mit Augsburger Themen zu befassen, dokumentiert dieser zweite Band einer Doppelveröffentlichung zur frühneuzeitlichen politischen Kulturgeschichte Zentraleuropas interna-tionale Aktivitäten des Augsburger Instituts für Europäische Kulturgeschichte (IEK). Ihm zugrunde liegt eine Tagung in Warschau, die das IEK gemeinsam mit dem dortigen Deutschen Historischen Institut und dem Historischen Seminar der Universität Warschau veranstaltet hatte. Sie bezog sich auf den Themenkomplex des Thronwechsels als Krise und Entwicklungschance und damit auf ein unter veränderten Vorzeichen heute wieder als besonders aktuell angesehenes historisches Feld.
ACHT FALLSTUDIEN
Der Band enthält entsprechend eine auf eine systematische Vermessung des Problembereiches angelegte Einführung des Herausgebers und acht Fallstudien. Stefan Hartmann (Berlin) nimmt den Thronwechsel im Kurfürstentum Brandenburg unter die Lupe. Edward Opalinski und Ewa Dubas-Urwanowitz (Warschau) legen Studien zu den polnischen Interregnien und deren Bedeutung für die Begrenzung der polnischen Monarchie vor. Jaroslav Panek (Prag) entwickelt neue Überlegungen hinsichtlich des böhmischen Königtums, die insbesondere für das Verständnis des Ausbruchs des Dreißigjährigen Krieges von zentraler Bedeutung sind. In Fortführung ihrer Studien zum weithin unbekannten Fall des Herzogtums Kurland leuchtet Almut Bues (Warschau) dortige Strukturen und Prozesse des Thronwechsels aus. Györgi Novaky (Uppsala) steuert Erkenntnisse zu den frühen Wasa bzw. zum schwedischen Fall bei. Alois Schmid (München) entwickelt demgegenüber eine kritische Perspektive zum Thronwechsel im frühneuzeitlichen Bayern. Aus der Feder Igor Kakolewskis (Warschau) wiederum stammt eine vergleichende Analyse der Entthronung zweier geisteskranker Fürsten, nämlich Albert Friedrichs von Preußen und Eriks IV. von Schweden.
CHANCE FÜR PARTIZIPATORISCHE ANSPRÜCHE
Unter diesen wechselnden Perspektiven legt das Buch die Verwaisung des Thrones als eine für die europäische Monarchie schlechthin entscheidende Situation dar, die einem mehr oder weniger breiten Kreis weiterer Herrschaftsbeteiligter jeweils die Chance eröffnete, neue partizipatorische, vielfach sogar konstitutionelle Ansprüche einzubringen und durchzusetzen. Mit anderen Worten: der in den Erbreichen grundsätzlich vom biologischen Zufall abhängige Thronwechsel konnte aristokratisch, in der Tendenz schließlich sogar demokratisch genutzt werden. "Der Vorteil der Monarchie, staatlich-politische Potenz in einer Person zu bündeln, macht mithin gerade ihre größte Schwäche aus: Und das", so der Augsburger Herausgeber und Neuhistoriker Professor Weber, "ist eine historische Lehre, die auch in unserer Gegenwart nicht ganz ohne Belang erscheint."
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Wolfgang E. J. Weber (Hg.): Der frühmoderne Staat in Ostzentraleuropa II (Documenta Augustana Bd. 3), Wißner Verlag, Augsburg 2000, 154 S., ISBN 3-89639-228-X, DM 29,80
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