Protestpotential in Deutschland schnell mobilisierbar
In Deutschland existiert ein dichtes Netz von Protestgruppen, das rasch aktiviert werden könne - zum Beispiel in Form einer durch den Krieg in Afghanistan neu belebten Friedensbewegung. Diesen Schluss zog der Protestforscher Dieter Rucht vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) aus bisherigen sozialwissenschaftlichen Untersuchungen zu Protesten in Deutschland.
Protestpotential in Deutschland
"Druck von unten" hat sich über Jahrzehnte verstärkt und ist rasch mobilisierbar
Berlin In Deutschland existiert ein dichtes Netz von Protestgruppen, das rasch aktiviert werden könne - zum Beispiel in Form einer durch den Krieg in Afghanistan neu belebten Friedensbewegung. Diesen Schluss zog der Protestforscher Dieter Rucht vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) aus bisherigen sozialwissenschaftlichen Untersuchungen zu Protesten in Deutschland.
Die vom ihm am WZB geleitete Arbeitsgruppe "Politische Öffentlichkeit und Mobilisierung" legte jetzt einen Forschungsband vor zu "Protest in der Bundesrepublik - Strukturen und Entwicklungen". Das Buch bietet einen Überblick über kollektive Proteste von den 50er bis zu den 90er Jahren.Untersucht werden zum Beispiel antifaschistische Proteste der 50er Jahre, rechtsradikale und fremdenfeindliche Aktivitäten sowie Umweltproteste.
Ein wichtiges Ergebnis der WZB-Forscher lautet: Der politische "Druck von unten", der über protestförmige Basismobilisierung ausgelöst wird, ist erheblich gewachsen. Die Wissenschaftler stellten dabei eine Verschiebung fest, weg von Parteien und Verbänden hin zu informellen Gruppen und Netzwerken. Als wichtigste Protestthemen machten die Wissenschaftler "Arbeit", "Demokratie", "Frieden", "Infrastruktur" (Flughafenerweiterung, Straßenausbau etc.) und "Atom" fest. Stetig steigen auch die absoluten Zahlen und Prozentanteile von Protesten, bei denen es um "Ausländer und ethnische Minderheiten" geht. Gleichzeitig haben diese Proteste die höchste Gewaltneigung. "Seit den 90er Jahren handelt es sich um das brisanteste Konfliktfeld in Deutschland", so Rucht. Insgesamt stellten die Forscher in den letzten zwei Jahrzehnten eine Tendenz zu militanteren Protestformen fest.
Untersucht wurden auch die Organisationsformen der Akteure. Dieter Rucht: "Es ist eine Verstetigung der Bewegungen festzustellen." Am Beispiel Umwelt zeige sich jedoch auch, dass eine gewisse Institutionalisierung nicht mit dem Abnehmen des Radikalitätsgrads der Proteste einhergehen müsse.
Neue qualitative Merkmale einer "Sozialen Bewegung" sieht Rucht in den globalisierungskritischen Protesten wie in Genua, Göteborg und Seattle. Denn dort werde tatsächlich über die Grenzen hinweg mobilisiert, und es würden Themen verknüpft wie Frauen, Armut, Ökologie und Menschenrechte. Nach Einschätzung Ruchts könne die Bewegung der "Globalisierungskritiker" an Zulauf und Bedeutung gewinnen, sobald das Nachdenken über die Ursachen des islamistischen Terrorismus und die Folgen des Krieges verstärkt einsetze.
Aus den Forschungsergebnissen lasse sich schließen, dass die Protestkultur in Deutschland fest verankert sei. Die "sozialen Bewegungen" hätten sich verfestigt und gleichzeitig professionalisiert. Rucht: "Deshalb würde eine Bewegung gegen den aktuellen Krieg und die Beteiligung Deutschlands auf eine schnell mobilisierbare Infrastruktur des Protests treffen, eine 'neue' Friedensbewegung könnte sich rasch beleben."
Bei Nachfragen: Prof. Dr. Dieter Rucht, T: 030/25491-306, rucht@wz-berlin.de
Ingrid Hüchtker, Pressereferat, T: 030/25491-510, huechtker@wz-berlin.de
Dieter Rucht (Hg.), Protest in der Bundesrepublik - Strukturen und Entwicklungen, Frankfurt: Campus 2001, 319 S.
Weitere Informationen:
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