Kritischer Blick auf die Stellung des Kapitäns
DSM gibt in seiner wissenschaftlichen Schriftenreihe Dissertation des Kieler Historikers Jann Markus Witt heraus - Differenzierte Betrachtung relativiert das gängige Bild vom unumschränkten Befehlshaber an Bord
Info Nr. 03/02 vom 06.02.02
Kritischer Blick auf die Stellung des Kapitäns
DSM gibt in seiner wissenschaftlichen Schriftenreihe Dissertation des Kieler Historikers Jann Markus Witt heraus - Differenzierte Betrachtung relativiert das gängige Bild vom unumschränkten Befehlshaber an Bord
Kapitäne sind ein fester Bestandteil der populären Kultur. In zahllosen Romanen und Filmen werden ihre Abenteuer geschildert, und Figuren wie William Bligh von der "Bounty" oder der literarische Seeheld Horatio Hornblower haben ein Bild geprägt, das sich bei näherer Untersuchung als Klischee erweist. Vom gnadenlosen Schinder, der seine Matrosen schikaniert, bis hin zum gütigen "Alten", der wie ein Vater für seine Mannschaft sorgt, reichen diese Stereotype. Dabei werden oft die Verhältnisse der Marine des 18. und 19. Jahrhunderts auf die Handelsschifffahrt übertragen, ohne die grundlegenden Unterschiede zwischen den vollkommen verschiedenen Aufgabenstellungen von Kriegs- und Handelsmarine zu beachten.
Hinter dieses oberflächliche Bild vom Kapitän schaut der Historiker Jann Markus Witt in seiner Dissertation über den nordeuropäischen Handelsschiffskapitän, die jüngst vom Deutschen Schiffahrtsmuseum (DSM) in Bremerhaven in seiner wissenschaftlichen Schriftenreihe herausgegeben wurde. Aus Memoiren, Seerechtstexten und Seegerichtsakten hat er Erstaunliches zutage gefördert. In allen europäischen Seerechten fanden sich Bestimmungen über die absolute Befehlsgewalt des Kapitäns und den nötigen Gehorsam der Mannschaft. Die herausgehobene Position des Kapitäns wird in der Bezeichnung "Schiffer nächst Gott" oder "Master next God" deutlich, die sich allerdings nicht auf eine unumschränkte Herrschaftsbefugnis des Kapitäns an Bord, sondern allein auf seine rechtlich verankerte Verfügungsgewalt über Schiff und Mannschaft während der Reise bezog. Nur eine strenge Bordhierarchie ermöglichte in allen Situationen koordiniertes Handeln, und nur so konnte die Sicherheit des Schiffes und das Überleben der Besatzung sichergestellt werden. Obwohl es Ausnahmen gab, führten die meisten Kapitäne ihre Schiffe straff und diszipliniert, ohne sich despotisch zu verhalten. Dennoch kam es häufig genug zu Problemen und Konflikten zwischen Kapitän und Mannschaft, die ihre Ursache oftmals in akuten Missständen an Bord hatten. Bei Misshandlung oder anhaltenden Schwierigkeiten mit Vorgesetzten waren die Desertion oder verschiedene Formen der Widersetzlichkeit der naheliegende Ausweg für die Seeleute.
In all diesen Fällen besaß der Kapitän die im europäischen Seerecht verankerte Befugnis, die Disziplin und Ordnung an Bord notfalls auch mit Gewalt durchzusetzen. Dies galt mit wenigen Ausnahmen aber nur auf See und für Vorfälle, die im direkten Zusammenhang mit dem Schiffsbetrieb standen. Grundsätzlich lag es allein im Ermessen des Kapitäns, ob er seine Seeleute bestrafte oder ihnen verzieh, und die Sache damit auf sich beruhen ließ, was in Form der sogenannten Verzeihung unter der Bedingung, dass das Verhalten der Besatzung während des weiteren Reiseverlaufs tadellos war, häufig der Fall war, zumal eine harte Bestrafung die Gefahr barg, dass die Situation weiter eskalierte. Allen Personen an Bord, Kapitän wie Mannschaft, stand es zudem offen, sich wegen Streitereien und Zwischenfällen nach der Reise an die zuständigen Gerichte zu wenden. Damit waren der Kapitänsgewalt an Bord durch das Seerecht wie auch durch den informellen Verhaltenskodex deutliche Grenzen gesetzt. Zwar besaß der Kapitän auf See weitreichende Kommando- und Disziplinarbefugnisse, dennoch - so das Fazit von Jann Markus Witt - kann seine Stellung an Bord nicht als absolutistisch, und schon gar nicht als despotisch bezeichnet werden.
Die großformatige, 344 Seiten umfassende, illustrierte Dissertation "Master next God? Der nordeuropäische Handelsschiffskapitän vom 17. bis zum 19. Jahrhundert" von Jann Markus Witt ist als Band 57 der "Schriften des Deutschen Schiffahrtsmuseums" im Convent Verlag, Hamburg, erschienen und zum Preis von EUR 49,90 im Buchhandel und im Museumsshop des DSM erhältlich.