Leben ohne Westfernsehen
"Leben ohne Westfernsehen" ist der Titel eines jetzt im Leipziger Universitätsverlag erschienenen Buches, mit dem der Kommunikations- und Medienwissenschaftler Prof. Dr. Hans-Jörg Stiehler von der Universität Leipzig aufschlussreiche Studien zur Medienwirkung und Mediennutzung in der Region Dresden in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts vorlegt.Damit wurde ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft unterstütztes Projekt abgeschlossen.
Am 18. Juli 1984 erhielt die Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Dresden eine Weisung aus dem Ministerium in Berlin. Durch den Stellvertreter von Minister Mielke, Generalleutnat Neiber, wurde die Arbeitsgruppe XXII (Terrorabwehr) mit der operativen Bearbeitung eines neuen Falles beauftragt. Die Abteilung M (Postkontrolle) hatte "im nationalen Briefverkehr" einen auf den 9. Juli datierten Drohbrief an den Staatsrat der DDR "sichergestellt". Die Adresse auf dem Briefumschlag und der pseudonyme Absender waren mit einer Schriftschablone geschrieben, der Text war aus Zeitungsüberschriften und Zeitungsmeldungen zusammengeschnitten und aufgeklebt worden. Er lautete:
Aus kochendem Untergrund in Dresden
Forderungen, denen
keiner ausweichen kann
BRD Rundfunk-
und Fernsehprogramm
Wir drohen mit Gewalt
Einsatz einer Arbeitsgruppe
Bereit zum sprengen
des FS und UKW-Turm Dresden/Wachwitz
UKW-Sender Löbau
Forderungen überbracht
in die Tat umsetzen
bis 6. 11. 1984
Dieser Drohbrief war Anlass für die Auslösung des Operativen Vorgangs "Turm", der die - im übrigen fehlgeschlagene - Suche nach dem Absender wie auch die Bemühungen von Einwohnern Dresdens um Zugang zum Westfernsehen dokumentiert. Zusammen mit Sekundäranalysen von Datensätzen aus der DDR-Sozialforschung und medienbiographischen Interviews in der Region Dresden bildet der Aktenfund aus der Außenstelle Dresden der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR ein reichhaltiges Material, das die Mediennutzung und die Medienwirkung zu Zeiten des Mangels an Alternativen zu den DDR-Medien zu beschreiben gestattet. In der nicht ohne Häme "Tal der Ahnungslosen" genannten Region Dresden, wo das Westfernsehen nicht zu empfangen war, war dieser Mangel besonders gravierend.
Weitere Informationen: Prof. Dr. Stiehler
Telefon: 0341 9735742
E-Mail: stiehler@uni-leipzig.de