"Mut zur Beobachtung"
"Terror im System" zeigt, wie und aus welchen Gründen der Westen weiterhin seine eigene Rolle beim Anschlag vom 11. September verdrängt
Nach Ansicht von Fritz B. Simon, Organisationsberater an der Uni Witten/Herdecke (UWH) ist es schädlich, einen Krieg gegen den Terrorismus zu führen. So schreibt es der angesehene Buchautor ("Tödliche Konflikte") in einem neuen, von Dirk Baecker (ebenfalls UWH), Peter Krieg und ihm herausgegebenen Band "Terror im System". Begründung: "Kriege sind Systeme, die sich durch die gegenseitigen Grausamkeiten der Kontrahenten die Gründe für ihre Fortsetzung selbst liefern."
Fast ein Jahr ist vergangen, seit am 11. September 2001 die Doppeltürme des New
Yorker Wold-Trade-Centers in sich zusammensackten. Mit reflexivem Abstand vom Geschehen versucht "Terror im System" nun, das zunächst Unfassbare fassbar zu ma-chen. Dabei stellt sich heraus: Auch der Westen hat noch nicht gelernt, seine eigene Rolle in der Dramaturgie dieses Anschlages angemessen zu bewerten und die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Dafür liefert der Band mit Autoren verschiedener Kulturwis-senschaften nun wertvolle Hinweise. Ziel des Bandes sei es, so Mit-Herausgeber Bae-cker, "die Ambivalenz jeden Urteils, also auch des Urteils gegen den Krieg, herauszu-arbeiten, um auf diese Art und Weise Material zur Reflexion möglicher Beobachtun-gen zu beschaffen und so überhaupt erst einmal Mut zur Beobachtung (und nicht zum wie immer erschrockenen Augenverschließen) zu machen."
Diese bewusste Vieldeutigkeit drückt sich in unterschiedlichen Bewertungen der Autoren aus: Während der bekannte Essener Kommunikationswissenschaftler Norbert Bolz "die Moderne am Ground Zero vor den Ruinen ihrer eigenen Logik" stehen sieht, erfasst Baecker die Dimension des Anschlages noch in den Grenzen des von Beck aufgebrachten Be-griffs des Risikos und der Risikogesellschaft.
Der französische Philosoph Alain Badiou liefert eine Begriffs-Analyse von Terrorismus: "Es ist bemerkenswert, wie es dazu kommen konnte, dass das Wort "Terrorismus", das eindeutig eine bestimmte Form der Ausübung der Staatsgewalt charakterisiert, nach und nach genau das Gegenteil bezeichnete (...), wundert sich der Autor. Am Ende seiner semantischen Entwicklung sei "Terrorismus" heute im Grunde eine propagandistische Vokabel (...). "Sie enthebt aller vernünftigen Untersuchung der politischen Situationen, ihrer Ursachen und Konsequenzen."
Dirk Baecker, Peter Krieg, Fritz B. Simon: "Terror im System", Heidelberg (Carl-Auer-Systeme-Verlag) 2002, Preis: 24,90 Euro, ISBN 3896702793
Kontakt: Prof. Dr. Dirk Baecker, Tel.: 02302/926-500