"Generation Golfkrieg" - vor allem ein Medienphänomen
"Generation Golfkrieg" - vor allem ein Medienphänomen
WZB-Protestforscher Rucht: "Nur eine Minderheit der protestierenden Schüler wird sich langfristig engagieren"
(Berlin) 34 Prozent aller 14- bis 19-Jährigen geben an, gegen den Krieg zu demonstrieren. Mit 23,5 Prozent stuft sich ein überproportionaler Anteil demonstrierender Jugendlicher als "weit links" ein. Dennoch sieht Protestforscher Dieter Rucht vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) keine "Generation Golfkrieg" heranwachsen, die sich erheblich von einer früheren und angeblich unpolitischen Generation ("Generation Golf") unterscheide. Nur eine Minderheit werde sich langfristig politisch engagieren, prognostiziert der Sozialforscher Rucht.
"Schülerproteste sind kein neues Phänomen", stellt Dieter Rucht fest. Bereits die Proteste gegen den Golfkrieg 1991 seien wesentlich von Schülern geprägt gewesen. Die absolute Zahl protestwilliger Schüler sei in diesen Wochen allerdings höher als jemals zuvor. So hätten 34 Prozent der 14- bis 19-Jährigen bei einer telefonischen Repräsentativbefragung angegeben, sich an Demonstrationen und Protestkundgebungen gegen den Irakkrieg zu beteiligen, während der entsprechende Anteil bei der Gesamtbevölkerung nur 15 Prozent betrug. Auch eine von Rucht organisierte Befragung von Teilnehmern der großen Berliner Anti-Kriegsdemonstration am 15. Februar habe einen überproportionalen Anteil der Altersgruppe unter 25 Jahren ergeben.
Bei dieser Befragung auf Basis einer Zufallsauswahl (781 Fragebögen wurden ausgewertet) stufte sich mit 23,5 Prozent ein überraschend hoher Anteil der Jugendlichen als "weit links" ein. Zum Vergleich: Nur 18,6 Prozent der befragten Studenten äußerten sich gleichermaßen. Höher ist mit 17 Prozent auch der Anteil derer, die "überhaupt nicht" zufrieden mit der Demokratie in Deutschland seien (Studenten: 14,3 Prozent). Ein Vergleich von Schülern und Studenten zeigt weitere Unterschiede: Globalisierungskritiker werden von den Schülern weniger unterstützt (52,9 Prozent, Studenten 81,5 Prozent) und deutlicher ist die Ablehnung des Krieges durch Schüler auch dann, wenn er vom Sicherheitsrat gebilligt worden wäre ("lehne völlig ab": 53,7 versus 41,4 Prozent).
Rucht warnte trotz dieser Ergebnisse davor, die generationsspezifischen Unterschiede zu überschätzen. Letztendlich sei die "Generation Golfkrieg" vor allem ein Medienphänomen. Er nannte einige Faktoren, die aus seiner Sicht die Präsenz der Schüler bei den Anti-Kriegsprotesten erklären helfen. "Ein erster und wichtiger Faktor ist die im frühen Jugendalter besonders ausgeprägte Empfindlichkeit für Widersprüche zwischen Idealen und Wirklichkeit", meinte Rucht. Die Tatsache, dass Bush mit seinem Angriffskrieg internationales Völkerrecht verletze und die Mehrheit der Staatengemeinschaft missachte, treibe die Schüler auf die Straße.
Als zweiten Faktor nennt Rucht die Eltern der jetzigen Schülergeneration, die als Nach-68er in den 70er und 80er Jahren in den neuen sozialen Bewegungen aktiv waren. Zwischen ihnen und ihren Kindern sei die Kluft sehr viel geringer als zwischen der 68er-Generation und deren Kindern. Zudem habe das weit verbreitete Unbehagen gegenüber etablierten Formen politischer Interessenvertretung in Verbänden und Parteien zur Mobilisierung beigetragen. Es sei nicht zu vergessen, dass die Demonstrationen Abwechslung böten zum Schulalltag. So werde von den Schüler betont, dass die Anti-Kriegsdemonstrationen "Spaß machen".
Auch versprächen die Kundgebungen öffentliche Beachtung und Anerkennung. Die Aktionen richteten sich an das Medienpublikum. Man könne sich seiner eigenen Bedeutung über das Medienecho vergewissern, das in den letzten Wochen sehr freundlich im Sinne der protestierenden Schüler gewesen sei.
Trotz der begünstigenden Faktoren erwartet Dieter Rucht keine anhaltende Welle des jugendlichen Massenprotests: "Die Demonstrationen lassen sich nicht auf Dauer stellen, und die Medienkarawane wird weiterziehen." Allerdings werde eine Minderheit der Jugendlichen ihre politische Kritik wei-ter treiben und ein Potential bilden für politische Mobilisierung in anderen Themenbereichen, zum Beispiel dem der Globalisierungskritik.
Dieter Rucht, Die Schüler in der Anti-Kriegsbewegung - und was davon bleiben wird, unveröffentlichtes Manuskript, Berlin 2003, im Internet unter: http://www.wz-berlin.de/presse/pdf/schuelerproteste.pdf
Bei Rückfragen:
Dieter Rucht, AG Politische Öffentlichkeit und Mobilisierung, T: 030/25491-306, rucht@wz-berlin.de
Ingrid Hüchtker, Pressereferat, T: 030/25491-510, huechtker@wz-berlin.de
Weitere Informationen:
http://www.wz-berlin.de/
http://www.wz-berlin.de/presse/pdf/schuelerproteste.pdf