Kasseler Wirtschaftsjurist: "Studiengebühren kann sich Deutschland nicht leisten"
Die Einführung allgemeiner Studiengebühren in Deutschland verbietet sich, trotz knapper werdender öffentlicher Mittel, allein schon wegen der im internationalen Vergleich niedrigen Studierendenzahlen. Dieser Auffassung ist Prof. Dr. Bernhard Nagel, Wirtschaftsjurist am Fachbereich Berufsbildungs-, Sozial- und Rechtswissenschaften der Universität Kassel (UNIK).
Kassel. Die Einführung allgemeiner Studiengebühren in Deutschland verbietet sich, trotz knapper werdender öffentlicher Mittel, allein schon wegen der im internationalen Vergleich niedrigen Studierendenzahlen. Dieser Auffassung ist Prof. Dr. Bernhard Nagel, Wirtschaftsjurist am Fachbereich Berufsbildungs-, Sozial- und Rechtswissenschaften der Universität Kassel (UNIK). Zusammen mit Wissenschaftlern der Universitäten Graz und Enschede (Niederlande) analysierte Nagel die sozialen Auswirkungen von Studiengebühren in den USA, England, Schottland, den Niederlanden, Österreich, Australien und Neuseeland, um daraus mögliche Folgen abzuleiten, die eine Einführung von Studiengebühren in Deutschland mit sich bringt.
Nagel kommt zu dem Schluss, dass das deutsche Hochschulsystem zunächst einer Qualitätsverbesserung bedürfe. Studium und Hochschulen müssten reformiert und effizienter organisiert werden. Dazu schlägt der Wirtschaftsjurist vor, vermehrt Wettbewerbselemente einzuführen, zum Beispiel in Form von Globalhaushalten, Evaluierung des Lehrangebots sowie Veröffentlichung von Ranglisten.
Die Einführung von Studiengebühren würde zum gegenwärtigen Zeitpunkt zahlreiche potentielle Studienbewerber von einem Studium abhalten, befürchtet Nagel. Er verweist dabei auf Erfahrungen aus Österreich, wo die von der ÖVP/FPÖ-Regierung eingeführten Studiengebühren die Zahl der Studienbewerber drastisch zurückgehen ließen. Einen solchen Rückgang der im internationalen Vergleich ohnehin schon niedrigen Studierendenzahlen könne sich Deutschland aus ökonomischen Gründen nicht leisten.
Die Akzeptanz von Studiengebühren sei in Deutschland und Österreich grundsätzlich viel geringer als in anderen untersuchten Ländern, wie zum Beispiel den USA. Einen wichtigen Grund dafür sieht Nagel im gut ausgebauten System der Berufsausbildung in Deutschland und Österreich. Die berufliche Ausbildung stelle für potentielle Studienbewerber eine interessante Alternative zum Studium dar: Sie werde allgemein anerkannt, finde auf einem verhältnismäßig hohen Niveau statt, und die Absolventen könnten auch mit einer solchen abgeschlossenen Ausbildung in relativ hohe Gehaltsstufen aufsteigen. Eine vergleichbare Alternative zum Studium bestehe in den meisten anderen untersuchten Ländern nicht, da es dort keine systematische Berufsausbildung nach mitteleuropäischem Muster gibt. Dort betrachteten die Studierenden das Studium als notwendige Voraussetzung für einen späteren Beruf, in dem sie entsprechend hohe Verdienstmöglichkeiten haben. "Studiengebühren gelten als Investition in die Zukunft, demzufolge ist auch die Bereitschaft sich zu verschulden bei den Studienbewerbern in diesen Ländern höher", so der Professor. Wichtig für die Akzeptanz der Studiengebühren sei außerdem, dass die Gebühren nicht in den allgemeinen Staatshaushalt fließen, sondern für den Bildungs- bzw. Hochschulbereich zur Verfügung stehen, wie in Schottland der Fall.
Doch auch wenn sie in Deutschland keine Studiengebühren zahlen, müssten die meisten Studierenden bzw. deren Familien einen erheblichen Teil der Studienkosten selber tragen. Die Lebenshaltungskosten sowie der in dieser Zeit entgangene Verdienst machten etwa ein Drittel der gesamten Studienkosten aus, gibt Nagel zu bedenken. Er fordert deshalb, die bestehende Balance zwischen Gebührenfreiheit einerseits und der Förderung der Lebenshaltungskosten eines bestimmten, nach sozialen Gesichtspunkten ausgewählten Kreises von BAföG-Empfängern beizubehalten.
Wolle man trotzdem Studiengebühren in Deutschland einführen und gleichzeitig negative soziale Auswirkungen vermeiden, so müsse man langsam vorgehen und zusätzliche Maßnahmen ergreifen, um Bewerber aus weniger vermögenden Familien nicht von einem Studium abzuhalten, empfiehlt Nagel. Als attraktive Finanzierungsmodelle hätten sich zum Beispiel ein gemischtes System von Stipendien und Darlehen erwiesen, wie es in den Niederlanden praktiziert wird oder die Graduiertensteuer, die in Schottland eingeführt wurde. Solange soziale Ausgleichsmechanismen wirken, sei die abschreckende Wirkung der Studiengebühren auf potentielle Studienbewerber gering. Dennoch zeigten die Analysen, dass Studierende aus niedrigeren Einkommensschichten vor allem an den Hochschulen in Australien, Neuseeland und den USA unterrepräsentiert sind und die Chancengleichheit nicht gewährleistet werde.
Auch die Argumente der verbesserten Verteilungsgerechtigkeit, die davon ausgehen, dass in einem Finanzierungssystem ohne Studiengebühren die Nichtakademiker im Ergebnis die Ausbildung der Akademiker finanzieren, sprächen nicht für die Einführung von Studiengebühren. In den untersuchten Ländern und auch in Deutschland gibt es eine erhebliche Steuerprogression, die dafür sorge, dass die besser verdienenden Akademiker einen höheren Anteil ihres Einkommens an den Staat zahlen müssten. Die Behauptung, die Krankenschwester finanziere das Studium des Chefarztes, sei demnach unzutreffend.
sk
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