Antworten auf komplexe Herausforderungen finden
IfM Bonn: Reallabore können für die Gestaltung der Wirtschaftspolitik hilfreich sein
Wie kann das Zusammenleben innerhalb eines Stadtteils positiv beeinflusst werden? Wie können sich ältere und jüngere Bewohner gegenseitig unterstützen? In der Schweizer Stadt Winterthur wird aktuell eine "Quartier-App" unter realen Bedingungen getestet, die es den Bewohnern des Stadtteils Neuhegi ermöglicht, interaktiv miteinander zu kommunizieren. In einem Jahr werden die Erfahrungen ausgewertet. Die Ergebnisse fließen anschließend in die weitere Stadtplanung der "Smart City" Winterthur ein.
"Was aktuell vor allem für die gesellschaftlichen Zukunftsthemen Mobilität, Umwelt sowie Stadt- bzw. Regionalentwicklung genutzt wird, ist auch für die Wirtschaftspolitik ein interessanter Lösungsansatz: Mit Hilfe von Reallaboren können verschiedene Wege für komplexe Herausforderungen, die sich beispielsweise aufgrund der zunehmenden Heterogenität im Mittelstand ergeben, innerhalb eines festgelegten Rahmens getestet werden. Auf diese Weise können etwa die Vor- und Nachteile von geplanten gesetzgeberischen Maßnahmen evaluiert, Handlungsempfehlungen abgeleitet und frühzeitig Partikularinteressen einzelner Gruppen einbezogen werden", erläutert Prof. Dr. Friederike Welter (IfM Bonn/Universität Siegen).
Experimentelle Ansätze sind in den Wirtschaftswissenschaften nicht neu. So haben Nobelpreisträger wie Vernon Smith, Daniel Kahneman und Richard Thaler – zumeist unter Laborbedingungen – das individuelle Handeln in Entscheidungssituationen beleuchtet. Feldexperimente gehen einen Schritt weiter: Sie finden außerhalb von Laboren statt, um so mehr über die Wirkung unterschiedlicher Eingriffe in der realen Welt zu lernen. In Reallaboren wird darüber hinaus gezielt eine Kooperation zwischen Wissenschaft und Akteuren aus der Praxis, der Gesellschaft und Politik eingegangen. Ziel ist es, gemeinsam Lösungsvorschläge zu entwickeln und umzusetzen.
"Gerade die zunehmende Dynamik technischer Entwicklungen wie beispielsweise die Digitalisierung verlangen verlässliche Rahmenbedingungen seitens der Wirtschaftspolitik. Die Erprobung von Lösungswegen und die im Rahmen eines Reallabors gewonnenen Erkenntnisse bieten die Chance, Entscheidungsgrundlagen – etwa für die Gestaltung gesetzlicher Rahmenbedingungen – zu verbessern", so Prof. Dr. Friederike Welter.
Gleichwohl müssten sich die Verantwortlichen in der Wirtschaftspolitik auch bewusst sein, dass jedes Reallabor für die Entscheidungsträger ein bestimmtes Maß an Unsicherheit und das Risiko des Scheiterns mit sich bringt. Auch dürfte der Experimentierraum nicht überreguliert werden. Ansonsten bestehe die Gefahr, dass die dynamischen Prozesse im Keim erstickt werden.
Das IfM-Denkpapier "Potenziale der Reallaborforschung für die Wirtschaftspolitik" ist auf der Homepage des Institut für Mittelstandsforschung (www.ifm-bonn.org) abrufbar.
Originalpublikation:
Löher, J.; Schneck, S. (2018): Potenziale der Reallaborforschung für die Wirtschaftspolitik, Denkpapier Nr. 18-01, Bonn.
Weitere Informationen:
https://www.ifm-bonn.org//uploads/tx_ifmstudies/Denkpapier-Reallabore-2018.pdf