Flugverzicht für den Klimaschutz: IRS-Wissenschaftler_innen beteiligen sich an Aktion zum Klimastreik am 20. September
Zahlreiche Forscherinnen und Forscher an 7 Berlin-Brandenburger Wissenschaftsinstitutionen verpflichten sich, auf Kurzstrecken nicht mehr zu fliegen. Sie wollen damit einen Beitrag zu einem besseren Klimaschutz leisten. Am Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung (IRS) beteiligt sich die Hälfte der wissenschaftlichen Beschäftigten an der Aktion, die an der TU Berlin ihren Ausgang nahm und über das Netzwerk Scientists4Future organisiert wurde. So soll auch eine vertiefte Diskussion über Nachhaltigkeit in der Forschung angestoßen werden. Denn die Wissenschaft braucht Austausch und Begegnung, Mobilität und Flexibilität. Die Frage ist, wie sie bewerkstelligt und organisiert werden.
Freiwilliger Verzicht: Hälfte der wissenschaftlichen Beschäftigten des IRS schließt sich an
Mobilität ist für die Wissenschaft unverzichtbar. Forschungsreisen gehören ebenso zu Arbeit und Leben von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern wie Konferenzbesuche und Gastaufenthalte an Forschungsinstitutionen im Ausland. Aber muss für diese Zwecke immer geflogen werden? Die Wissenschaft gehört zu den lautesten Mahnern für eine entschiedene Klimapolitik und ein klimabewussteres Handeln der Gesellschaft. Zugleich wird in der Forschung mit großer Selbstverständlichkeit das Flugzeug als Verkehrsmittel über lange, aber auch über kurze Distanzen benutzt – ein Umstand, der von Forschenden selbst zunehmend kritisiert wird.
In Vorbereitung auf den globalen Klimastreik am 20. September 2019 haben sich nun zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an sieben Berliner und Brandenburger Universitäten und Instituten (neben dem IRS die drei großen Berliner Universitäten, die Beuth-Hochschule, die Universität Potsdam und die Hochschule Potsdam) zu einem anderen Flugverhalten verpflichtet. Konkret verpflichten sie sich, künftig bei Kurzstrecken – also bei Entfernungen unter 1.000 Kilometern oder bei Reisezeiten unter 12 Stunden mit der Bahn – auf das Fliegen zu verzichten und auf klimafreundliche Verkehrsmittel wie die Bahn umzusteigen. Am IRS haben sich bisher insgesamt 35 von 82 Beschäftigten (ca. 43%) der Selbstverpflichtung angeschlossen, darunter 26 von 53 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern (ca. 49%), und 9 von 29 Beschäftigten im unterstützenden Bereich (ca. 31%). An allen beteiligten Einrichtungen zeichnen sich Beteiligungsraten von mindestens 10% ab. Insgesamt wurden bis zu 1.500 Selbstverpflichtungen gesammelt.
Dienstliche Kurzstreckenflüge ersetzen
Initiiert wurde die Aktion von Prof. Dr. Martina Schäfer, Wissenschaftliche Geschäftsführerin des Zentrums Technik und Gesellschaft der Technischen Universität Berlin. Über das Netzwerk Scientists4Future fand sie Mitstreiter. Schäfer hält wissenschaftliche Dienstreisen für einen kritischen Faktor für die Nachhaltigkeit des Forschungssystems insgesamt. Sie erklärt: „Dienstreisen führen zu bedeutsamen Treibhausgasemissionen. Beispielsweise hat die ETH Zürich festgestellt, dass praktisch die Hälfte ihrer CO2-Emissionen von dienstlich bedingten Flügen stammen. Wegen der sogenannten Höhenwirkung schätzt das Umweltbundesamt die klimaschädigende Wirkung des Fliegens als etwa 2-5-mal so groß ein, wie es durch den reinen CO2-Ausstoss zu erwarten wäre. In Deutschland dürfte ca. 10 % der Klimaschädigung durch das Fliegen verursacht sein. Obwohl Kurzstreckenflüge nicht das Gros der dienstlichen Flüge ausmachen, lassen sie sich am ehesten mit Bahnfahrten ersetzen.“
Am IRS ist Dr. Timmo Krüger, Postdoc in der Forschungsabteilung „Institutionenwandel und regionale Gemeinschaftsgüter“, bei Scientists4Future aktiv. Er warb für die Selbstverpflichtung. Krüger sagt: „Ich möchte einen eigenen Beitrag zum Klimaschutz leisten, und da ist der Verzicht aufs Fliegen nun mal die größte Stellschraube. Darüber hinaus sehe ich die Stärke der Initiative darin, öffentliche Debatten anzuregen. Unsere Selbstverpflichtungen sind nur der erste Schritt. Das Wissenschaftssystem muss sich grundsätzlich ändern, wenn es die sozialökologische Krise wirklich ernst nehmen will.“
IRS-Leitung begrüßt offene Diskussion
Das IRS erforscht soziale Transformationen und Innovationen – zu den Forschungsthemen zählen unter anderem die Energiewende, der Kohleausstieg, veränderte Verkehrsleitbilder und neue Entwicklungen bei Klimaschutz und -anpassung. Die Frage, wie Flugreisen in der Praxis ersetzt oder ausgeglichen werden können, wird im IRS auch vor diesem Hintergrund mit großer Offenheit diskutiert. Zur Sprache kommen dabei allerdings auch die Grenzen der individuellen Entscheidungsfreiheit. Wichtige Größen sind etwa das Reisekostenrecht, das Dienstreisende auf wirtschaftliche Entscheidungen verpflichtet, und die weit verbreitete Orientierung an Billigflügen bei der Kalkulation von Projekten und Reisekosten, etwa durch Drittmittelgeber. Hinzu kommt das oft starke Engagement der Forscherinnen und Forscher in verschiedenen Netzwerken, Gremien und Projekten, welches ihnen ein hohes Maß an Mobilität und Flexibilität abverlangt.
Prof. Dr. Oliver Ibert, Direktor des IRS sagt dazu: „Ich begrüße ausdrücklich, dass diese Diskussion geführt wird, auch im IRS. Ich unterstütze die Bemühungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, ihren Klimafußabdruck zu verringern. Für mich ist jedoch klar, dass Mobilität, auch schnelle und flexible Mobilität, für die Wissenschaft unverzichtbar ist. Wir müssen an vielen Stellschrauben arbeiten, um die Nachhaltigkeit von Forschungsaktivitäten zu verbessern: dem Reisekostenrecht, der Förderpraxis von Drittmittelgebern, der Nutzung von Videokonferenzen und vielem mehr. Als sehr viel zentraler als organisatorische und institutionelle Hürden scheint mir aber die insgesamt begrenzte zeitliche Verfügbarkeit von Personen zu sein. Das ist nicht nur eine Frage voller Terminkalender, sondern auch und vor allem eine Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Insofern muss wohl jede Wissenschaftlerin und jeder Wissenschaftler für sich die Umsetzbarkeit eines Flugverzichts individuell prüfen.“
Unter denjenigen, die sich am IRS zu einem Flugverzicht verpflichten, sind auch zwei von insgesamt fünf Abteilungsleitungen des IRS: Prof. Dr. Christoph Bernhardt, Leiter der Historischen Forschungsstelle des IRS und Dr. Ludger Gailing, kommissarischer Leiter der Forschungsabteilung „Institutionenwandel und regionale Gemeinschaftsgüter“. Gailing erklärt: „Ich halte einen Flugverzicht aus Klimaschutzgründen für richtig und auch für umsetzbar. Innerhalb von Europa fliege ich generell nicht zu Konferenzen und Forschungsaufenthalten, sondern fahre Bahn. Ich hatte noch nie Probleme mit der Kostenerstattung. Meiner Erfahrung nach sind Bahnreisen auch nicht generell teurer als Flugreisen, wenn sie zeitig gebucht werden. In Hochgeschwindigkeitszügen kann ich außerdem sehr gut arbeiten; es gibt überall W-LAN und Ruheabteile. Die Stunden auf der Reise sind oft meine produktivsten.“
Die Ergebnisse der Gesamtaktion werden auf der zentralen Kundgebung zum Klimastreik am 20. September 2019 vor dem Brandenburger Tor in Berlin vorgestellt.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. Oliver Ibert
03362/793-150
oliver.ibert@leibniz-irs.de
Prof. Dr. Christoph Bernhardt
03362/793-142
christoph.bernhardt@leibniz-irs.de
Dr. Ludger Gailing
03362/793-130
ludger.gailing@leibniz-irs.de
Dr. Timmo Krüger
03362/793-157
timmo.krueger@leibniz-irs.de
Weitere Informationen:
http://Links zu den Seiten der ETH Zürich und des Umweltbundesamtes mit den zitierten Inhalten
https://ethz.ch/en/the-eth-zurich/organisation/executive-board/vice-president-human-resources-and-infrastructure/mobilitaetsplattform/air-travel.html
https://www.umweltbundesamt.de/umwelttipps-fuer-den-alltag/mobilitaet/flugreisen#textpart-1