Handverlesen und exklusiv: RUB-Historiker untersuchen deutsche Wirtschaftselite
"Klein, aber fein" und vor allen Dingen undurchlässig war der Kreis derjenigen, die im letzten Jahrhundert zur deutschen Wirtschaftselite zählten. Die Familiendynastien orientierten sich ebenso wie die Wirtschaftsbarone und Warenhausbesitzer an bürgerlichen Wertvorstellungen, so der Tenor der Beiträge im jüngst erschienenen Sammelband "Die deutsche Wirtschaftselite im 20. Jahrhundert. Kontinuitäten und Wandel", der von zwei RUB-Historikern mit herausgegeben wurde.
Bochum, 06.01.2004
Nr. 3
Handverlesen und exklusiv
Karriereverläufe deutscher Unternehmer
RUB-Historiker untersuchen Wirtschaftselite
"Klein, aber fein" und vor allen Dingen undurchlässig war der Kreis derjenigen, die im letzten Jahrhundert zur deutschen Wirtschaftselite zählten. Die Familiendynastien orientierten sich ebenso wie die Wirtschaftsbarone und Warenhausbesitzer an bürgerlichen Wertvorstellungen, so der Tenor der Beiträge im jüngst erschienenen Sammelband "Die deutsche Wirtschaftselite im 20. Jahrhundert. Kontinuitäten und Wandel". Die Aufsatzsammlung fasst die Ergebnisse einer Tagung zusammen, die das Institut für soziale Bewegungen der Ruhr-Universität Bochum im Herbst 2001 in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis für kritische Unternehmens- und Industriegeschichte e.V. und der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte organisiert hat. Herausgegeben wurde der Sammelband von den beiden Bochumer Historikern Dr. Stefan Unger und Prof. Dr. Dieter Ziegler in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Volker Berghahn, der an der Columbia University New York lehrt.
Gleich zu gleich gesellt sich gern
"Wer es bis in die Chefetagen schaffen will, sollte von seiner Persönlichkeitsstruktur her denjenigen ähneln, die bereits in solchen Positionen sitzen", so Michael Hartmann (Darmstadt) in seinem Beitrag über die deutsche Wirtschaftselite nach 1945. Während er die soziale Herkunft als zentralen Rekrutierungsfaktor hervorhebt, betont Hervé Joly (Lyon) in seiner Untersuchung deutscher Unternehmensfamilien die familiären Bande. Christiane Eifert (Berlin) macht in ihrem Beitrag geschlechtergeschichtliche Aspekte stark. Sie zeigt am Beispiel der Unternehmerinnen, dass Frauen in Familienbetrieben die größten Aufstiegschancen hatten. Rückten sie durch Erbschaften in Führungspositionen auf, mussten sie sich häufig ihren Aufgaben stellen, ohne formal dazu qualifiziert zu sein.
Kontinuität der Wirtschaftselite
Einzelfallanalysen, wie Dieter Zieglers Untersuchung des Bankwesens und Lutz Budraß (beide Bochum) Analyse der deutschen Luftfahrtindustrie unterstützen die These von der Kontinuität der Wirtschaftselite. Einzig die Untersuchungen der Vorstände der IG-Farben-Nachfolgeunternehmen sowie der Warenhauskonzerne Karstadt und Kaufhof legen den Schluss nahe, dass die soziale Herkunft kaum Einfluss auf die Rekrutierungsmuster der Spitzenmanager besaß, sondern allein Ausbildung und Qualifikation ausschlaggebend waren.
Festhalten am bürgerlichen Wertehimmel
Die These von der allmählichen Erosion bürgerlicher Werte im 20. Jahrhundert wiederlegen Jörg Lesczenski (Bochum) und Birgit Wörner (Frankfurt) mit ihrer vergleichenden Analyse von Moritz von Metzler und August Thyssen. Sie untersuchen deren Vorstellung von Familie und Kindererziehung und ihren Ethos. Auch die Tübinger Historikerin Cornelia Rauh-Kühne kommt in ihrem Beitrag über Hans-Constantin Paulsen, dem Generaldirektor des Aluminiumwalzwerks Singen und langjährigen Präsidenten der Bundesvereinigung deutscher Arbeitergeberverbände, zu dem Ergebnis, dass deutsche Bürgerlichkeit nach dem Zweiten Weltkrieg keineswegs ausgelöscht war, sondern zum "Sozialgepäck" der Wirtschaftselite zählte.
Titelaufnahme
Die deutsche Wirtschaftselite im 20. Jahrhundert, hg. von Volker R. Berghahn, Stefan Unger und Dieter Ziegler, Essen 2003, Klartext, 461 Seiten, Preis 39 Euro, ISBN 3-89861-256-2
Weitere Informationen
Prof. Dr. Dieter Ziegler, Fakultät für Geschichtswissenschaft der Ruhr-Universität Bochum, 44780 Bochum, GA 4/62, Tel: 0234/ 32-24660, E-Mail: Dieter-Ziegler@web.de