RWI: Europäische Demografie nur mit Umbau der Sozialsysteme beherrschbar
Die europäische Bevölkerung wird in den nächsten Jahrzehnten zahlenmäßig schrumpfen, ihr Durchschnittsalter steigen. Eine empirische Analyse des RWI untersucht die Konsequenzen dieses Prozesses für den Arbeitsmarkt und zeigt, dass dessen Folgen dauerhaft nur mit einem Umbau der Sozialsysteme beherrschbar sind. Damit verbunden ist ein steigendes Maß der Bürger an Eigenverantwortung.
Sinkende Geburtenraten und steigende Lebenserwartung werden den Altersdurchschnitt der europäischen Bevölkerung in den nächsten Jahrzehnten kontinuierlich ansteigen lassen. Für Deutschland gehen Berechnungen der Weltbank beispielsweise davon aus, dass der Anteil der über 65-Jährigen von 21% im Jahr 1995 auf 36% im Jahr 2035 ansteigen wird. In einer empirischen Analyse hat das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) die Auswirkungen dieser Entwicklung auf den europäischen Arbeitsmarkt untersucht. Hierzu wurden Daten für 14 EU-Mitgliedsländer aus dem European Community Household Panel (ECHP) von 1999 verwendet. Die Analyse umfasste die ökonomisch aktive Bevölkerung im Alter zwischen 15 und 64 Jahren. Diese wurde in Kohorten eingeteilt, die jeweils fünf Geburtsjahrgänge umfassten (z.B. 15-19 Jahre, 20-24 Jahre).
Geburtenschwache Jahrgänge sind seltener von Arbeitslosigkeit betroffen
Es zeigte sich, dass die Beschäftigungswahrscheinlichkeit für den Einzelnen mit der Größe seiner Kohorte abnimmt. Beträgt der Anteil einer Kohorte an der Gesamtbevölkerung allerdings mehr als 6%, nimmt die Beschäftigungswahrscheinlichkeit wieder zu. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass eine starke Kohorte ihren Einfluss zugunsten von mehr Beschäftigung geltend machen kann. Kohorten mit einem großen Anteil von Personen mit hohem Bildungsabschluss sind ebenfalls seltener von Arbeitslosigkeit betroffen.
Sozialsysteme belasten die jüngeren Generationen zunehmend
Aufgrund der demografischen Entwicklung sind für die Zukunft kleinere Kohorten zu erwarten, die Alten werden dominieren. Die Folgen dieses Prozesses sind nicht exakt vorhersagbar, weil beispielsweise die niedrigere Produktivität einer signifikant älteren Gesellschaft durch hohe Kapitalakkumulation oder einen hohen technischen Fortschritt ausgeglichen werden könnten. Isoliert betrachtet, könnten Mitglieder nachwachsender, kleinerer Kohorten sogar gegenüber der heutigen Situation profitieren: weil sie relativ seltener sind, steigen ihre Löhne und damit das Pro-Kopf-Einkommen der jungen Generation. Zudem neigen Mitglieder kleinerer Kohorten dazu, mehr in ihre Aus- und Weiterbildung zu investieren. Hierdurch verbessern sich ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zusätzlich. Das größte Problem für die schwächeren Jahrgänge der Zukunft sind die generationenübergreifenden Sozialsysteme. Unter den aktuellen Bedingungen könnte nur eine stark ansteigende Produktivität die schrumpfende Zahl an Beitragszahlern davor bewahren, durch die relativ steigende Zahl an Beitragsempfängern immer höher belastet zu werden.
Mehr Selbstvorsorge und flexiblere Löhne sind nötig
Für die Politik gibt es mehrere Wege, um die Folgen einer alternden europäischen Bevölkerung abzufedern. So könnten beispielsweise Programme zur Steigerung der Geburtenrate, kürzere Ausbildungszeiten, späteres Renteneintrittsalter oder verstärkte Zuwanderung mildernd wirken. Allerdings würde der beschriebene Prozess dadurch nur verlangsamt. Eine Reform der Sozialsysteme ist daher letztenendes unvermeidlich. Hier erscheinen mehr Elemente der Selbstvorsorge erforderlich, wie sie beispielsweise im Rentensystem zunehmend eingeführt werden. Flexiblere, an die Produktivität angepasste Löhne könnten zudem dafür sorgen, dass die Arbeitslosigkeit nicht mehr so stark vom Angebot an Arbeitskräften abhängt. Die Möglichkeiten aktiver Arbeitsmarktpolitik sind hingegen eher begrenzt. Um die Effizienz derartiger Maßnahmen zu verbessern, sollten sie zukünftig wissenschaftlich intensiv begleitet werden.
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Dr. Michael Fertig, Tel.: (0201) 81 49-201
Sabine Weiler (Pressestelle), Tel.: (0201) 81 49-213
Weitere Informationen:
http://www.rwi-essen.de/pls/portal30/docs/FOLDER/PUBLIKATIONEN/RWIDP/RWI_DP008/DP_03_008.PDF