Toleranzkultur aus dem Islam als Vorbild für Europa
Bremer Doktoranden forschen über Bagdader Gerechtigkeitsbewegung
Mit dem Islam verbinden die meisten Menschen Bilder von kopftuchtragenden Frauen oder eine strenge Einhaltung des Korans. Als Begründer der Musiktherapie, Erfinder des Fieberthermometers oder als Verfechter einer Toleranzkultur sind die Islamisten bisher nicht in die Geschichte eingegangen. Detlev Quintern und Kamal Ramahi aus dem Studiengang Geschichte der Universität Bremen haben eine Dissertation über das in Bagdad wirkende Gelehrtenkollegium der Ichwan as-Safa und über die Qarmatenbewegung geschrieben. Dabei studierten sie auch alte arabische Handschriften, vor allem in der Münchner Staatsbibliothek, und legten sie ihrer Forschung zugrunde.
In der Zeit von 750-1258 schaffte das Kollegium wissenschaftliche Grundlagen für Philosophie, Medizin oder die Botanik, die noch heute ihre Gültigkeit in den Disziplinen haben. Unter dem Kalifen Mamoun 835 n.Chr. wurden erste Universitäten mit unterschiedlichen Fakultäten in Bagdad errichtet. Nicht nur das Streben nach Wissen zeichnete diese Bewegung aus, sondern auch ihre Wissenschaftsethik. Die Ichwan as-Safa waren Verfechter einer Toleranzkultur, in der Religion eine untergeordnete Rolle spielte. Die Einheit von Mensch, Gesellschaft, Natur und Kosmos stand im Vordergrund. Sie waren Teil einer Gerechtigkeitsbewegung, die eine auf das Wohl aller ausgerichtete Gesellschaftauffassung besaßen. Sie errichteten einen egalitären Staat mit Zentrum in Bahrain, der auf den Prinzipien Toleranz, Gleichberechtigung und Basisdemokratie beruhte. Der Staat entfaltete eine Ausstrahlungskraft, die weit über die arabische Welt bis nach Europa reichte.
Auch damalige Europäer waren von der ganzheitlichen Lebenseinstellung der Bewegung beeindruckt, besonders aber von dem basisdemokratischen Ansatz der Ichwan as-Safa. Dem Liedgut galten sie als Vorbild (Beispiel: Carmina Burana, die Lieder der Scholaren des 13. Jahrhunderts). Aus der Medizin werden, jedoch sehr viel später, das lange unbekannte Fieberthermometer und erste Ansätze der Musiktherapie nach Europa gelangen. Ein abschließendes Kapitel der Dissertation beschäftigt sich mit der aktuellen Krise der Wissenschaften und schließt den Kreis zum theoretischen Ansatz der universalistischen Wissenschafts- und Geschichtstheorie. Dadurch wird der kulturelle Dialog zwischen Islam und der westlichen Welt unterstützt und ein Ausweg aus der Krise wissenschaftlichen Denkens angeboten.
Die Arbeit "Die Gerechtigkeitsbewegung unter dem Kalifat der Abbasiden (750 - 1258) am Beispiel der Qarmaten und Ichwan as-safa" von Detlev Quintern und Kamal Ramahi wird als Buch beim Theorie und Praxis Verlag aus Hamburg erscheinen. Vorher wird es auf der Frankfurter Buchmesse vorgestellt.
Birthe Klappstein
Für weitere Informationen:
Dr. Detlev Quintern
Tel. 0421 896 1984
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