Vorstellungen der EINEN Welt
Akademievorlesungen Sommersemester 2004
Mit Modellvorstellungen versuchen wir, uns die Wirklichkeit zu vergegenwärtigen. Unser Denken steht zu den Dingen im selben Verhältnis wie unsere Modellvorstellungen zu den Objekten, die sie repräsentieren. So kann sich das Denken von der Wirrnis der Phänomene lösen, um sie durch ihre Reduktion zunächst einordnen und verstehen, ihren Horizont sodann überschreiten zu können, allerdings für den Preis unserer Fesselung an die Modelle.
"Modelle" waren deshalb der Ausgangspunkt für ein Gespräch zwischen den Disziplinen in der Berlin - Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Es interessierte nicht nur die Frage, wie Modellvorstellungen entstehen, sondern vor allem, wie sie weiter entwickelt und überprüft werden. Dabei trat der Unterschied zwischen den Kultur- und Naturwissenschaften zutage: Die ersteren sind auf den Träger der Kultur, den Menschen bezogen, er schafft ihre Vorstellungen und ist der Richter darüber, ob diese adaequat sind; dieses Urteil bleibt den wechselnden Meinungen der Menschen unterworfen. Die letzteren unterwerfen sich mit der durch Beobachtungen oder Experimente überprüften Aussage der Modellvorstellungen dem Urteil der Natur darüber, inwieweit sie adaequat sind oder unter dem "Druck der Tatsachen" verändert werden müssen. Sie werden zu abstrakten Theorien, sie lösen sich vom menschlichen Bezug und seinen wechselnden Meinungen. - Damit allerdings scheinen sie gleichzeitig ihren Einfluß auf menschliches Denken und Fühlen einzubüßen.
In drei öffentlichen Akademievorträgen sollen verschiedene Aspekte dieser interdisziplinären Diskussion der Öffentlichkeit vorgestellt werden.
Christoph Markschies und Klaus Pinkau
Die eine Welt und die vielen Weltbilder
22. April 2004, 19 Uhr s.t.
Zunächst scheint alles klar: Da gibt es ein vorneuzeitliches vorwissenschaftliches Weltbild und irgendwann im sechzehnten Jahrhundert wandelt sich dieses zu einem neuzeitlichen wissenschaftlichen Weltbild. Die historische Wirklichkeit ist, wie üblich, etwas komplexer: Viele vorneuzeitliche Weltbilder modellieren das Ergebnis einer nach damaligen Maßstäben wissenschaftlichen Forschung und was einfach, gar naiv erscheint, war gezielte Komplexitätsreduktion. Und trotzdem ist der Bruch zwischen neuzeitlichen und vorneuzeitlichen Weltbildern nicht zu leugnen. Was bleibt von den alten Bildern? Mit Kopernikus und Kepler öffnet sich der Mensch der naturwissenschaftlichen Erkenntnis. Er entwickelt Modelle über die Natur, die dann mit Hilfe von Beobachtungen oder Experimenten überprüft, bestätigt, verworfen, verbessert werden. Geleitet und geführt von den so erkannten Eigenschaften der Natur werden diese Modelle zu abstrakten mathematisierten Theorien. Das moderne naturwissenschaftliche Weltbild ist mächtig, denn es erlaubt dem Menschen, die Natur in seinen Dienst zu nehmen. Es erweckt Ehrfurcht durch seine Komplexität und Schönheit. Aber es bleibt wegen seines hohen Abstraktionsgrades dem Laien letztendlich fremd. Leben vielleicht deswegen die alten Weltbilder fort, weil die Ikone des Hauptes voll Blut und Wunden Teil unserer Lebenserfahrung ist?
Christoph Markschies ist Ordinarius für Historische Theologie an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. - Klaus Pinkau ist Emeritus des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik, Garching.
Leibniz-Saal im Akademiegebäude am Gendarmenmarkt
Eingang Markgrafenstraße 38
Der Eintritt ist frei.
Weitere Vorlesungen in dieser Reihe:
Peter Költzsch
Modelle zum Problemlösen - Lösungen zum Modellproblem
13. Mai 2004, 19 Uhr s.t.
Julian Nida-Rümelin
Die Modelle der wissenschaftlichen Theorie und die Einheit der Lebenswelt
3. Juni 2004, 19 Uhr s.t.
Weitere Informationen: Freia Hartung, Tel. 030.20370.287, email: hartung@bbaw.de