Viele Grundschüler auf unpassenden Sitzmöbeln
upm-Pressemitteilung der Universitaet Muenster 296/97 - 11. August 1997
Viele Grundschueler auf unpassenden Sitzmoebeln
Untersuchung der Orthopaedischen Universitaetsklinik Muenster
Alarmierende Nachricht zum Schulanfang: Die Sitzmoebel in deutschen Grundschulen entprechen laut einer Studie der Orthopaedischen Universitaetsklinik Muenster haeufig nicht den Koerperproportionen der Kinder. Von insgesamt 243 Erst- bis Viertklaesslern in zwoelf Klassen dreier Grundschulen, die von den muensterschen Wissenschaftlern in Bezug auf die Passgenauigkeit ihrer Schulmoebel untersucht wurden, sassen weniger als ein Viertel an einer fuer sie passenden Tisch/Stuhl-Kombination. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass heute nach Festsstellung von Medizinern mindestens jedes dritte Kind bereits zum Zeitpunkt der Einschulung Haltungsschwaeche und Rueckenschmerzen hat, kommt dieser Untersuchung besondere Bedeutung zu.
Wie der Leiter der muensterschen Studie, Prof. Dr. Joerg Jerosch betont, zeigen die Ergebnisse eine deutliche Divergenz zwischen den orthopaedischen Anforderungen und der Schulwirklichkeit. Ausgesprochen kritisch bewertet der Oberarzt der Klinik fuer Orthopaedie der Westfaelischen Wilhelms-Universitaet die 1981 fuer den Bau von Sitzmoebeln in Bildungseinrichtungen festgelegte DIN-Norm ISO 5970. Entsprechend dieser Norm, die ausschliesslich die Koerpergroesse, nicht aber die individuellen Koerperproportionen der Kinder beruecksichtigt, verfuegen die Grundschulen in der Regel ueber Sitzmoebel in vier verschiedenen Groessen, die jeweils durch einen violetten, gelben, roten oder gruenen Punkt gekennzeichnet sind.
Wie die Untersuchung gezeigt hat, werden den einzelnen Jahrgangsstufen in der Praxis meistens nur Moebel einer einzigen Groesse zugeteilt. Der individuellen koerperlichen Entwicklung der Kinder wird damit nicht Rechnung getragen. Darueber hinaus kommt es nach Beobachtung der muensterschen Wissenschaftler aber auch haeufig vor, dass Tische und Stuehle unterschiedlicher Groessen willkuerlich miteinander kombiniert werden. Um Haltungsschaeden der Schueler vorzubeugen bzw. bereits vorhandene Schaeden nicht noch weiter zu verschlimmern, empfehlen die Mediziner den Grundschulen nachdruecklich, fuer die einzelnen Klassen jeweils Moebel in verschiedenen Groessen bereit zu halten. So werde beispielsweise statistisch gesehen, die Groesse "gelb" sowohl von der ersten, zweiten und dritten Klasse und die Groesse "rot" von der zweiten, dritten und vierten Klasse benoetigt. "Aus dieser Verteilung", so Untersuchungsleiter Jerosch, "ergibt sich die Forderung nach einer 15-prozentigen Reserve der verschiedenen Sitzmoebel, da es immer Kinder gibt, die kleiner oder groesser sind als der Durchschnitt beziehungsweise waehrend des laufenden Schuljahres wachsen."
Weit besser noch als eine weniger starre Zuordnung der Normmoebel an die einzelnen Klassen waere nach UEberzeugung der muensterschen Orthopaeden eine AEnderung der DIN ISO 5970, die weitestgehend auf der vor 100 Jahren als ideal angesehenen rechtwinkligen Sitzhaltung fusse. Bereits heute auf dem Markt, aber wohl nicht zuletzt auch aus Kostengruenden noch nicht bis in die Schulen vorgedrungen, seien optimale ergonomisch konzipierte und individuell anpassbare Moebel, die laut Jerosch gewissermassen freiwillig ueber die Norm hinausgehen. Charakteristisch fuer solche Moebel seien unter anderem eine neigbare Tischplatte und eine erhoehte, gewoelbte Sitzflaeche.
Da indes zum derzeitigen Zeitpunkt sowohl eine Neufassung der DIN-Norm als auch eine Anschaffung von ergonomischen Schulmoebeln kaum zu erwarten sind, appellieren die muensterschen Orthopaeden umso nachdruecklicher an das Lehrpersonal der Grundschulen, zumindest auf eine moeglichst individuelle Anpassung der vorhandenen Normmoebel zu achten. Wie die Untersuchung erbrachte, bestehen bei vielen Lehrern indes erhebliche Informationsdefizite hinsichtlicher dieser wichtigen Thematik. Nicht zuletzt wird Eltern ans Herz gelegt, im Interesse ihrer Kinder fuer einen ergonomisch gestalteten Hausaufgabenplatz zu sorgen.