Jenaer Persönlichkeitskonferenz: Was Menschen wirklich denken - verdeckt gemessen
Von der 11. Europäischen Konferenz zur Persönlichkeit an der Universität Jena
Jena (25.07.02) Immer wieder taucht die Frage auf, wie viele Deutsche als antisemitisch anzusehen sind. Bei derartigen Einstufungen ist einerseits stets nach den Kriterien für die Einstufung einer Person als Antisemit zu fragen. Andererseits ist die psychologische Forschung auch skeptisch, ob die Antworten der Befragten den tatsächlichen Bewertungen entsprechen. "Wir wissen aus vielen Forschungsarbeiten, dass Antworten auf gesellschaftlich oder persönlich heikle Fragen häufig verzerrt und beschönigt werden", weiß der Psychologieprofessor Dirk Wentura von der Friedrich-Schiller-Universität Jena.
Auf der 11. Europäischen Konferenz zur Persönlichkeitsforschung in Jena stellten Wentura und sein Mitarbeiter Christian Frings neue Ergebnisse zur "verdeckten" Erfassung von Bewertungen vor. "Wir bieten unseren Versuchsteilnehmern auf dem Computerbildschirm einen Reiz so kurz dar, dass sie diesen gar nicht bewusst wahrnehmen können. Dennoch beeinflusst dieses Signal - ein Wort wie Jude oder Türke - die Reaktionszeit auf wenig später dargebotene Wörter. Hieraus können wir Rückschlüsse auf die Bewertung der Reize ziehen", erläutert Wentura das Prinzip des Verfahrens.
Untersucht haben Wentura und seine Mitarbeiter dieses Vorgehen an Selbstwertbeurteilungen und an Bewertungen der Fernsehsendung "Big Brother". In beiden Fällen konnte gezeigt werden, dass die Methode funktioniert. Die Gefahr, dass wir dem gläsernen Menschen, dem wir gegen seinen Willen alle Einstellungen entlocken können, nun ein großes Stück näher gekommen sind, sieht Wentura noch nicht. Wir wissen noch viel zu wenig darüber, was genau und unter welchen Umständen mit einem solchen Verfahren erfasst wird, sagt der Jenaer Psychologe. Zunächst soll herausgefunden werden, ob bestimmte Verhaltensweisen besser durch derartige Messungen vorhergesagt werden können als durch direkte Befragungen. Beispielsweise könnte bei Personalchefs geklärt werden, wie viel Distanz sie ausländischen Bewerbern gegenüber zeigen verglichen mit deutschen.