"Eine Krise ist immer eine Chance": Ergebnisse des 2. Finanzmarktforums Bochum
Ärztliches Wissen war gefragt, als der "Patient Deutschland" im Audi Max der RUB untersucht wurde: Diagnose, Therapie und Prophylaxe für die krisengeschüttelte Finanzwirtschaft standen auf dem Programm des 2. Finanzmarktforums Bochum vor ca. 1.100 Gästen. Das Institut für Kredit- und Finanzwirtschaft der RUB und die Wochenzeitung "Die Zeit" haben das Forum gemeinsam organisiert. Als Referenten konnten sie die Vorstände von drei DAX-Unternehmen gewinnen. Die Krise sei zu bewältigen, sagten sie unisono, sie sei gar eine Chance. Die deutsche Finanzindustrie leide nicht an "Japanitis", die Branche müsse jedoch klarere Strukturen entwickeln.
Bochum, 14.02.2003
Nr. 44
"Eine Krise ist immer eine Chance"
2. Finanzmarktforum Bochum mit der "Zeit"
Deutschlands Finanzwirtschaft: Diagnose, Therapie und Prophylaxe
Ärztliches Wissen war gefragt, als der "Patient Deutschland" im Audi Max der RUB untersucht wurde: Diagnose, Therapie und Prophylaxe für die krisengeschüttelte Finanzwirtschaft standen auf dem Programm des 2. Finanzmarktforums Bochum vor ca. 1.100 Gästen. Das Institut für Kredit- und Finanzwirtschaft der RUB (IKF, Prof. Dr. Stephan Paul) und die Wochenzeitung "Die Zeit" haben das Forum gemeinsam organisiert. Als Referenten konnten sie die Vorstände von drei DAX-Unternehmen gewinnen. Die Krise sei zu bewältigen, sagten sie unisono, sie sei gar eine Chance. Die deutsche Finanzindustrie leide nicht an "Japanitis", die Branche müsse jedoch klarere Strukturen entwickeln.
Vortragstexte im Internet
Die Vortragstexte sind in den kommenden Tagen im Internet abrufbar unter
http://www.rub.de/aktuell/2_finanzmarktforum.htm sowie http://www.rub.de/ikf
Diagnose: Arthrose, aber keine Japanitis
Die "Diagnose" von Klaus-Peter Müller, Vorsitzender des Vorstands, Commerzbank AG, war eindeutig. "Wie hoch ist das Fieber wirklich", fragte er und stimmte mit den Forschungsergebnissen des Bochumer IKF überein, wonach die japanische Finanzwirtschaft zwar eine System-, Deutschland hingegen eine Strukturkrise zu bewältigen habe. "Das deutsche Bankgewerbe hatte ein Kosten- und hat noch ein massives Ertragsproblem." Die Statistik der Bundesbank für das Jahr 2002 werde mit Sicherheit zeigen, dass die Risikovorsorge das operative Ergebnis nicht nur in einzelnen Häusern, sondern für den gesamten Sektor aufgezehrt habe. Müller gestand ein, dass in der Vergangenheit auf Vorstandsebene manches Problem verschlafen worden sei. So leiste sich die Branche bis heute mehr Bankstellen als das Bäckereihandwerk Vertriebsstellen. Müller dazu: "Ist Geld wichtiger als Brot?". Als weiteren Entzündungsherd identifizierte er die Wettbewerbsverzerrung bei den Kreditpreisen durch den derzeitigen Status des Sparkassensektors. Müller kritisierte, die Branche leide unter zu starren sektoralen und nationalen Strukturen. Sein Fazit: Das Drei-Säulen-System des Bankgewerbes (Genossenschaftliche Banken, Sparkassen, Kreditinstitute) solle freigegeben werden: "Eine Volksbank sollte eine Sparkasse kaufen können und umgekehrt."
Therapie: Jobverlust wie beim Stahl
Die Überweisung an den "Fachmann für das heilsame Stahlbad" (Prof. Paul) folgte sodann. Dr. Ulrich Middelmann, Vorsitzender des Vorstands, ThyssenKrupp Steel AG und stellvertretender Vorstandvorsitzender der ThyssenKrupp AG, berichtete von der "Therapie" einer Branche, die bereits mehrfach durch eine schwere Krise gehen musste, der Stahlindustrie. "Welche Medizin kann tatsächlich heilen", fragte er. Die Bankendichte sei zu hoch - "Deutschland ist overbanked". Bei konstant hohem Beschäftigtenstand (ca. 750.000) habe sich der Personalaufwand von 1990 bis 2001 verdoppelt. Middelmann: "Der Finanzindustrie steht ein Personalabbau in ungeahntem Ausmaß bevor". Er verglich die Krise mit den enormen Anstrengungen, die der Stahlsektor unternommen habe: Die Anzahl der Beschäftigten beträgt demnach heute rund ein Viertel, die Produktivität hingegen habe sich verfünffacht. Kostenmanagement allein reiche jedoch nicht. Die Unternehmen müssten ihre Strategie permanent überprüfen und neu ausrichten, ihre Ressourcen durch Fusionen oder Kooperationen bündeln. Doch er sehe auch ein "Licht am Ende des Tunnels": "Es mangelt nicht an Ideen, was zu tun ist, die Banken leiden derzeit unter einem Umsetzungsstau. Eine Krise ist immer eine Chance: Wer überlebt, wird viel geschenkt bekommen. Eine große Krise ist eine große Chance", so sein Fazit.
Prophylaxe Allfinanz: Integration schafft strategische Sicherheit"
Die "Prophylaxe" schließlich schlug Dr. Henning Schulte-Noelle, Vorsitzender des Vorstands der Allianz AG, vor. Schulte-Noelle bekannte sich nachdrücklich zum Allianz/Dresdner-Allfinanzkonzept als "Zukunft weisendem Modell für die Branche". Der Kauf der Dresdner Bank durch sein Haus werde sich trotz momentaner Schwierigkeiten auf lange Sicht auszahlen. Treiber dafür seien die demographische Entwicklung und die gewandelten Ansprüche der Kunden. Insoweit sehe er die Branche erst am Anfang eines "Transformationsprozesses", dessen Ziel die "integrierte Finanzdienstleistung" sei, also ein intelligent verzahntes Bündel aus Versicherungs- und Bankleistungen. Die Herausforderung der Integration sei zu meistern, allerdings nur bei klarer Zielorientierung und straffer Führung. Nachdem der Markt konsolidiert sei, müsse eine klare Struktur sichtbar sein: mit deutlich weniger, dafür besser positionierten kleineren und mittleren Anbietern sowie transnationalen, großen Einheiten der Finanzdienstleistung. Unabhängig davon bestehe in der Assekuranz großer Nachholbedarf in Bezug auf einfache, für den Kunden leichter verständliche Produkte.
Ein Wort an die Studierenden von heute
In der abschließenden Podiumsdiskussion, die Dr. Uwe Jean Heuser, Leiter des Ressorts Wirtschaft der "Zeit" moderierte, wurde dann auch noch ein Wort an die Studierenden von heute gerichtet. Auf Heusers Frage, was man angesichts der Krise Studierenden und Auszubildenden heute raten solle, antwortete Klaus-Peter Müller: "Denken Sie daran: Bei uns ist es im Moment wirklich spannend. Gute, durchsetzungsstarke Leute können bei uns durchaus Karriere machen."
Bochumer Expertise
Das Bochumer IKF (Fakultät für Wirtschaftswissenschaft der RUB) bietet Expertise zur deutschen Finanzkrise. In ihrer Studie "Diagnose, Therapie und Prophylaxe von Bankenkrisen - Herausforderungen für Finanzaufsicht und Geldpolitik" untersuchen Prof. Dr. Stephan Paul, Dr. Stefan Stein und Dr. Andreas Horsch die deutsche und japanische Kreditwirtschaft. Sie nehmen anhand verschiedener Symptome das Krankheitsbild der deutschen Banken unter die Lupe, vergleichen mit den japanischen Verhältnissen und leiten daraus Forderungen ab: Über die Inhalte einer EU-Finanzaufsicht müsse man verstärkt nachdenken, Verbundeffekte mit der Geldpolitik nutzen und den Einfluss des Staates auf die Kreditwirtschaft drastisch reduzieren, so die Forscher. Die Ergebnisse der Studie sind in der neuen Zeitschrift des IKF "wissen & handeln" (Nr. 1, 2003, ISSN 1611-3845) veröffentlicht. Die Studie kann via E-Mail beim IKF kostenlos angefordert werden (s. u.).
Weitere Informationen
Dr. Stefan Stein, Institut für Kredit- und Finanzwirtschaft der RUB, Tel. 0234/32-25344, Fax: 0234/32-14699, E-Mail: stefan.stein@rub.de, Internet: http://www.rub.de/ikf
Weitere Informationen:
http://www.rub.de/aktuell/2_finanzmarktforum.htm
http://www.rub.de/ikf