Studierende publizieren unveröffentlichtes mündliches Werk von Prof. Michael Bockemühl
In der Reihe „Kunst sehen“ sind zwei neue Bände zu den Künstlern Vincent van Gogh und Paul Cézanne erschienen
Kunstwissenschaftler Prof. Dr. Michael Bockemühl war Lehrstuhlinhaber und Dekan der Fakultät für Kulturreflexion an der Universität Witten/Herdecke (UW/H). Das „Studium fundamentale“, das interdisziplinäre Herzstück der Universität, entwickelte er maßgeblich mit. Das Interesse der Studierenden an seinen Lehrveranstaltungen war gewaltig – aufgrund des großen Andrangs hielt er seine öffentlichen Vorlesungen zum Thema „Kunst sehen“ zwischen 1992 und 1994 im Wittener Saalbau. Die damals auf Tonband aufgezeichneten Vorlesungen haben Wittener Studierende nun in der gleichnamigen, auf rund 20 Bände angelegten Buchreihe zusammengefasst. Erschienen sind nun die Bände vier und fünf zu den Künstlern Vincent van Gogh und Paul Cézanne, ein weiterer Band zu Pablo Picasso wird bald folgen.
„Als ich die Studierenden in meinem Seminar um kritische Rückmeldung zu den schon vergilbten Transkriptionen der Vorlesungen von Michael Bockemühl gebeten habe, war die Zustimmung überwältigend“, erinnert sich Dr. David Hornemann von Laer, der das Projekt in seinem Seminar „Mach Dir selbst ein Bild“ ins Leben rief. „Es sprachen sich ausnahmslos alle für eine Herausgabe der Texte aus und hielten es für wichtig und notwendig, diese Inhalte möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen.“ Um dieses Ziel zu erreichen, haben seitdem weit über fünfzig Studierende daran mitgearbeitet, die Texte für eine Veröffentlichung vorzubereiten. Hornemann von Laer: „Dabei galt es, die Vorträge so zu lektorieren, dass der Vortragsstil erhalten bleibt und die Texte dennoch gut zu lesen sind. Zudem mussten wir die entsprechenden Bilder finden, die oft namentlich gar nicht erwähnt wurden.“ Letztlich entstand die Idee, die Vorträge einzeln zu publizieren und dabei Studierenden die Herausgabe der einzelnen Bände anzuvertrauen. „Prof. Bockemühl hat von seinen öffentlichen Vorlesungen als seinem Hauptwerk gesprochen, das er selbst gerne herausgegeben hätte. Leider ist er im Dezember 2009 plötzlich verstorben“, so Hornemann von Laer, der selbst bei Prof. Bockemühl zu Michelangelos Sixtinischen Deckenfresken promoviert hat. „Ich bin mir sicher, dass er seine helle Freude daran gehabt hätte, zu verfolgen, mit welcher Begeisterung und mit welchem Einsatz die Studierenden nun an dieser Idee mitarbeiten.“ Die Begeisterung der Studierenden teilt auch Hornemann von Laer. „Michael Bockemühl war ein zukunftsweisender Wissenschaftler. Sein Impuls, das Wahrnehmen für die Wissenschaft produktiv zu machen, wird weiterleben und die Wissenschaft des 21. Jahrhunderts prägen. Wir sind sehr froh, dieses Wissen nun mit der Buchreihe für alle Interessierten bereitstellen zu können.“
Die neuen Bände:
Band 4: Vincent van Gogh
Nicht was wir sehen, sondern wie wir sehen – das Werk Vincent van Goghs eröffnet auf besondere Weise Zugang zu der Brüchigkeit von Erkenntnis am Beginn der Moderne. Im Spannungsfeld von impressionistischer und expressiver Malerei formuliert van Gogh das Entstehen der Dinge malerisch als Reibung zwischen Farb- und Formwirkung, welche die Labilität der Wirklichkeit wie der Wahrnehmung selbst ins Feld führt. Im Durchgang durch verschiedene Werkphasen des jung gestorbenen Künstlers zeigt Bockemühl, wie neben der Autonomie des Werkes die Autonomie des Sehenden zum Maßstab für das Bild wird: Die strukturelle Dynamik des Werkes bestimmt die Dynamik der Wahrnehmung. Nicht das Abbild ermöglicht dem Betrachter, sich seines Standpunktes zu vergewissern, sondern das Werk wird allein in der Innenwahrnehmung des Betrachters zu einer stabilen Einheit – eine Aufforderung, sich der eigenen bildnerischen Tätigkeit im Prozess des Sehens bewusst zu werden.
Band 5: Paul Cézanne
Das Werk Paul Cézannes als Wahrnehmungsschule: Im chronologischen Durchgang durch verschiedene Werkphasen führt Bockemühl vor Augen, wie Malerei am Beginn der Moderne Sehgewohnheiten aufbricht und das Verhältnis zur Wirklichkeit neu zu fassen sucht. Nicht allein wird das Vertraute auf der Bildfläche in einen neuen Erfahrungszusammenhang gestellt, sondern der Prozess der Wahrnehmung selbst rückt in den Fokus der Aufmerksamkeit. Bockemühls Ausführungen machen erlebbar, wie der Maler Schritt für Schritt alle Gewissheiten über Bord wirft und den Betrachtern selbst die Verantwortung für die Konstitution von Gegenstand, Wirklichkeit und Bild überlässt.
In der Buchreihe sind Bände zu folgenden Themen bereits erschienen: Die Malerei des 19. Jahrhunderts, Claude Monet, Paul Gauguin, Vincent van Gogh, Paul Cézanne.
In Planung sind diese Bände: Pablo Picasso, Wassily Kandinsky, Emil Nolde, Piet Mondrian, Paul Klee, Salvador Dali, Ad Reinhard, Roger Bacon / Cy Twombly, Joseph Beuys, Alexey Jawlensky, Michelangelo, Auguste Rodin, Hans Arp, Alberto Giacometti und Henry Moore.
Weitere Informationen: www.kunst-sehen.com
Kontakt: Dr. David Hornemann v. Laer, David.HornemannvonLaer@uni-wh.de oder 02302 / 926-473
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