Nach starker Aktivität kehrt wieder Ruhe ein
Was passiert nach vier Wochen Lerntraining im Gehirn ? / Heidelberger Studie im "American Journal of Psychiatry"
Ständiges Lernen ist Bestandteil des Lebens. Wer Erfahrungen nicht mehr abspeichern und abrufen kann, ist den Anforderungen des Alltags schwerlich gewachsen. Eine wichtige Frage für das Verständnis der Gedächtnisschwäche ist: Wo laufen Lernprozesse im Gehirn ab, und wie kommunizierten die Hirnzellen untereinander?
Wissenschaftlern der Sektion Gerontopsychiatrie an der Psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg unter Leitung von Prof. Dr. Johannes Schröder ist es in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg (Privatdozent Dr. Marco Essig) gelungen, mit Hilfe der sogenannten funktionellen Kernspintomographie (MRT) erstmals nachzuvollziehen, welche Hirnaktivitäten nach vier Wochen Lernen eintreten: Das Gehirn gewöhnt sich an das Training, die anfängliche erhöhte Aktivität der Nervenzellen normalisiert sich bei gesteigerter intellektueller Leistung. Diese Studienergebnisse werden in der morgigen Ausgabe des "American Journal of Psychiatry" vom 2. April 2004 publiziert.
Blick ins Gehirn mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanz-Tomographie
Der Traum der Wissenschaftler, das Gehirn eines Menschen in Aktion beobachten zu können, wurde in den neunziger Jahren Realität: Mit der sogenannten funktionellen Magnetresonanz-Tomographie (fMRT) können Vorgänge im Gehirn gemessen und sichtbar gemacht werden, ohne dass radioaktive Substanzen verabreicht werden müssen. Vielmehr wird der Sauerstoffgehalt des Blutes in verschiedenen Gehirnregionen gemessen und der Sauerstoffverbrauch der aktivierten Gehirnregion sichtbar gemacht. Mit Hilfe der fMRT kann zum Beispiel ermittelt werden, welche Hirnregionen für bestimmte Bewegungen, Sinneswahrnehmungen oder Denkprozesse verantwortlich sind.
An der Heidelberger Untersuchung nahmen neun gesunde, junge Männer, Rechtshänder mit Universitätsstudium, teil. Zum Gehirntraining wurde ihnen zweimal täglich drei Aufgaben mit wachsendem Schwierigkeitsgrad gestellt: Zahlen in einem Versuchsfeld mussten erkannt werden und erinnert werden. Die Gehirnvorgänge wurden in drei Untersuchungen mit dem fMRT gemessen: Vor Studienbeginn, nach zwei Wochen und nach vier Wochen Training.
Das Gehirn gewöhnt sich an wiederholtes Gedächtnistraining
Vor allem zwei Hirnareale des Großhirns werden beim Lernprozess aktiviert - der sogenannte rechte "Gyrus frontalis inferior" im Stirnbereich und der rechte "Intraparietale Sulcus" im Schläfenlappen. Schon zwei Wochen Training verbesserten die Gedächtnisleistung deutlich, ein Effekt, der auch nach vier Wochen noch bestand. Je schwieriger die Aufgabe, desto größer die Aktivität. Die intellektuellen Anstrengungen gingen in den ersten beiden Wochen mit einer verstärkten Gehirnaktivität im Stirn- und Schläfenlappen einher, nach vier Wochen kehrte sie auf ihr Ausgangsniveau zurück.
"Mit Verfestigung des Lernerfolgs hat die Aktivierung der Gehirnareale wieder abgenommen", erklärt Professor Schröder Die Leistungen der Testpersonen hatten sich verbessert und blieben nach dem Rückgang der Aktivierung stabil. "Der anfänglichen Anstrengung beim Lernen folgt eine Konsolidierung und eine Ökonomisierung der Hirnleistungen".
Besseres Verständnis für Funktionsverluste nach Gehirnschäden
Die Analyse ist für die Behandlung von Patienten mit Hirnschädigungen von Bedeutung: Ausgefallene Funktionen können eventuell durch andere Hirnteile übernommen werden. "Es ist deshalb wichtig zu wissen, welche Gehirnareale an bestimmten Lernprozessen beteiligt sind und welche Vorgänge dabei ablaufen", erläutert Professor Schröder. So besteht auch die Hoffnung, mit der fMRT-Methode bei Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson neue Erkenntnisse zu gewinnen, etwa für die frühe Diagnose, damit Patienten rechtzeitig behandelt werden.
"Möglicherweise spielen die gefundenen Aktivierungsmuster auch in anderen Gehirnbereichen und bei bestimmten Aufgaben eine Rolle", so Professor Schröder. Weiterhin soll geklärt werden, ob Lernprozesse altersabhängig sind und welchen Einfluss Geschlecht und Bildung auf das Lernen haben.
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Johannes Schröder, leitender Oberarzt der Sektion Gerontopsychiatrie an der Psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg: 06221 / 56-5468 (Sekretariat, Frau Woelk)
Literatur:
Albrecht Hempel, Frederik L. Giesel, Nohazarahit M. Garcia Caraballo, Michael Amann, Heiko Meyer, Torsten Wüstenberg, Marco Essig, and Johannes Schröder: Plasticity of Cortical Activation Related to Working Memory During Training. Am J Psychiatry 2004 161: 745-747.
(Der Originalartikel kann bei der Pressestelle des Universitätsklinikums Heidelberg unter contact@med.uni-heidelberg.de angefordert werden)
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